Evangelische Kirche in Stuttgart

Ade Pfarrer Eckhard Ulrich

Zum 1. Juni 2021 geht Pfarrer Eckhard Ulrich in den Ruhestand. Knapp 25 Jahre war er Klinikseelsorger am Marienhospital, fast 30 Jahre Bezirksbeauftragter für die Aidsseelsorge - zuerst für Cannstatt, dann für Stuttgart, dann für den ganzen Kirchenkreis Stuttgart.

6 Fragen an den Aidsseelsorger Pfarrer Eckhard Ulrich...

Pfarrer Eckhard Ulrich war 30 Jahre in der Aids-Seelsorge tätig, bevor er sich jetzt in den Ruhestand verabschiedet.

Außerdem war Pfarrer Eckhard Ulrich über 15 Jahre hauptamtlicher Aidsseelsorger der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Bevor dann am Freitag, 11. Juni 2021 um 18 Uhr Stuttgarts Prälatin Gabriele Arnold den Gottesdienst zu seiner Verabschiedung in derLeonhardskirche hält [Anmerkung RED: Anmeldung zum Gottesdienst bei Pfarrerin Evelyn Helle bis Mittwoch, 9. Juni 2021], hat er sich mit unserer Redaktion zum Interview getroffen und ein bisschen aus seinen Berufsjahren als Klinik- und Aidsseelsorger erzählt.

RED: Lieber Herr Ulrich, der wohlverdiente Ruhestand steht an. Gehen wir mal ganz an den Anfang Ihrer beruflichen Laufbahn zurück. Was hat Sie motiviert, Pfarrer von Beruf zu werden?

EU: An den Pfarrberuf habe ich als Abiturient noch überhaupt nicht gedacht. Als Schüler und auch noch im Studium war Musik meine Leidenschaft und ich habe in den meisten Ferien daheim in unserem Stadtwald als (Hilfs)waldarbeiter gejobt. Mit 18 war ich noch fest entschlossen, Forstwirtschaft zu studieren. Allerdings hat mich mein begnadeter Religionslehrer daneben sehr in Richtung Theologie motiviert. So habe ich mich dann mit gerade mal 19 Jahren in Tübingen in diesem Fachbereich eingeschrieben. So kam dann eins zum andern.

RED: Und wie waren Ihre ersten „Gehversuche“ auf diesem Berufsweg?

EU: Ein ziemlich langes Studium habe ich Tübingen, München und später dann noch in Amsterdam absolviert. Es war eine spannende Zeit, damals. Das Vikariat machte ich in Ulm, in einer großen, liberalen Gemeinde. Dann kam das Pfarrvikariat in Esslingen, beim damaligen Dekan Klaus Scheffbuch habe ich sehr, sehr viel für den späteren Beruf lernen können. Anschließend konnte ich für zwei Jahre im Stuttgarter Katharinenhospital die Klinikseelsorge kennenlernen, begleitet durch einen wirklich qualifizierten KSA-Kurs (Klinische Seelsorge Ausbildung). Meine erste Pfarrstelle suchte und fand ich in Cannstatt, im Hallschlag - in den 90ern war das noch eine ziemliche wilde Gegend - genau das Richtige für einen aufgeschlossenen Anfänger.

RED: Und dann wurden Sie Klinikseelsorger. Wie unterscheidet sich diese Aufgabe von einer normalen Gemeindepfarrstelle und was erfordert sie?

EU: Auf die Seelsorgestelle am Marienhospital habe ich mich 1996 beworben. Ich wurde gewählt und bin dort bis jetzt, bis Ende Mai 2021, geblieben. Das ist außergewöhnlich lange. Es hat nichts mit besonderen Beziehungen zu tun oder dass ich etwa später "schwer vermittelbar" gewesen wäre. Der Unterschied zur Arbeit als Pfarrer in der Gemeinde ist auf den ersten Blick der, dass man wesentlich weniger verschiedene Arbeitsfelder hat. Die Seelsorge, gerade auch die Einzelseelsorge, steht im Mittelpunkt. Dabei auch die Bereitschaft, schnell und ohne Furcht auf konkrete, nicht selten auch akute und dramatische Anforderungen und Situationen zu reagieren. Egal ob bei Tag oder in der Nacht. Zuwendung zu Patienten und Angehörigen, aber auch große Offenheit für Probleme und Sorgen der verschiedensten MitarbeiterINNEN.
Die Patienten verweilen heute nur noch halb so lange wie damals in den 90ern in der Klinik. Das Erstgespräch ist oft auch das letzte, das einzige. In der Länge der Zeit haben sich aber auch lange Begleitungen ergeben. In mancher Hinsicht habe ich so gesehen meine Zeit in der Klinik nicht so sehr viel anders empfunden als früher in Kirchengemeinden. Und, das Marienhospital ist ein katholisches Ordenskrankenhaus, das gibt ihm ein besonderes Gepräge. Die vielen Kontakte gerade auch zu den Ordensschwestern sind mir sehr wertvoll. Ich habe den Katholizismus an der Basis, von seiner pragmatischen Seite, mit großer Offenheit für ökumenische Zusammenarbeit, schätzen gelernt.

RED: So wie uns heutzutage Corona in Schach hält, so war das gefühlt in den 80er und 90er Jahren die sexuell übertragbare Krankheit AIDS. Stars wie Hollywood-Schauspieler Rock Hudson, Musiklegende Freddie Mercury oder aber der deutsche Tennisspieler Michael Westphal gehören zu den Opfern dieser Krankheit. Auch in der Kirche reagierte man auf die HIV-Welle und schuf die Stelle des Aidsseelsorgers. Erzählen Sie mal, wie es dazu kam und Sie wiederum zu dieser Stelle kamen…

EU: Am Anfang, zu Beginn der 90er, schuf man noch gar keine Stelle für Aidsseelsorge. Wir waren eine echte Graswurzelbewegung. Einige Kollegen und Kolleginnen hatten im persönlichen Bereich eine starke Betroffenheit, kannten Freunde oder Angehörige, die sich früh infizierten, rasch starben. Davor litten sie unter den grässlichsten Nebenwirkungen. Ich stieß im 2. oder 3. Jahr dazu.
Wir wollten auch ein Zeichen aus der Kirche senden, dass Positive genauso wie alle anderen Menschen zur Kirche gehören, sofern sie dies wollen. Dann haben wir die Arbeit verstetigt. Aus einem ersten Projekt wurde eine Dauerlösung. Es bot sich an, die Organisition des sehr groß gewordenen Kreises der Bezirksbeauftragen für HIV an ein Stuttgarter Klinikpfarramt anzuhängen. Man bot es mir an und da ich als Kollege in Stuttgart, im größten, zentral gelegenen Ort gearbeitet habe, sagte ich ohne große Umstände zu. Ich hatte schon viele Kontakte in der HIV- und auch in der Regenbogencommunity. Das Amt passte in mancher Hinsicht gut zu mir. Die Stelle wurde unbefristet angelegt und da ich keine "Ermüdungserscheinungen" aufwies und man mit mir vermutlich auch zufrieden war, machte und mache ich das bis heute wirklich sehr gerne.

RED: Wir schreiben das Jahr 2021 – wie wichtig ist heutzutage noch oder wieder die Stelle des Aidsseelsorgers und worin besteht dessen Hauptaufgabe?

EU:  Heute haben wir eine weitgehend andere Situation. Das ist großartig. Medizinisch-pharmazeutisch wurde HIV zu einer sehr gut behandelbaren chronischen Krankheit. AIDS, gar AIDS im Vollbild, habe ich viele Jahre bei niemandem mehr gesehen. Das soziale Stigma bleibt, leider. Irgendwie unauflöslich. Hier im Sozialen, in der menschlichen Begleitung macht Aidsseelsorge wie auch die Bemühungen der anderen Kooperationspartner auf diesem Feld nach wie vor Sinn. Außerdem gibt es immer wieder Gelegenheit für Öffentlichkeitsarbeit und die auch heute immer noch über 20 Bezirksbeauftragten zwischen Friedrichshafen und Heilbronn, Tübingen und Ulm wollen motiviert und fortgebildet werden.

RED: Wenn Sie für einen Moment innehalten und resümieren: Was hat Sie in all den Jahren am meisten bewegt, getragen und was nehmen Sie mit in Ihren Ruhestand?

EU: Die Feindseligkeiten rund um die Fragen der Segnung oder Trauung gleichgeschlechtlicher Paare haben mich erschreckt. Selbst habe ich mich auf diesem Feld nicht in vorderster Front engagiert, man kann nicht bei allem sein Herzblut vergießen.
Positiv und auch ein wenig dankbar kann ich auf eine Zeit bei einem Arbeitgeber, der Kirche, zurückblicken, die einen nicht nur gewähren, sondern auch fördert und einen gestalten lässt. Außerdem finde ich es wirklich erstaunlich, dass bei all den negativen Schlagzeilen, die die eine oder andere Kirche immer wieder macht, dass mir als Vertreter dieser Kirche viel Vertrauen geschenkt wurde. Letzendlich ein Schatz, der dazu beiträgt, dass unsere Kirche auch in Zukunft eine relevante gesellschaftliche Größe sein kann.

RED: Herzlichen Dank für das Interview und damit verbunden der Einblick in diese verschiedenen und so wichtigen kirchlichen Arbeitsfelder. Nun wünschen wir Ihnen alles erdenklich Gute für den Ruhestand und lassen Sie es ruhig angehen!